Weiches Fell in harten Zeiten
Am Hals sind die hellen Löckchen besonders weich. Und wenn man an Malis schwarzen Knopfaugen ablesen kann, dass sie die Berührung genießt, möchte man sie einfach nur weiterkraulen und allen Ärger des Tages vergessen. Mali ist eine Labradoodle-Hündin und ergänzt seit diesem Schuljahr das Lehrerkollegium am Berufskolleg Eschweiler als Schulhund – mit eigenem Foto auf der Homepage. Sogar eine Mail kann man ihr schreiben, die tatsächlich beantwortet wird. Dafür sorgt Kollegin Sabine Hilgendorff, die sich augenzwinkernd als „Ziehmama“ von Mali vorstellt und als ihr Sprachrohr fungiert. Ein Schulhund an einer Grund- oder Förderschule ist nichts Ungewöhnliches. Aber kann er etwas an einem Berufskolleg bewirken, das von jungen und älteren Erwachsenen besucht wird?
Deutschunterricht einer Verkäuferklasse. Es herrscht eine lockere Atmosphäre. Mali bewegt sich frei im Raum, schlendert zu einzelnen Auszubildenden, lässt sich gelassen ein wenig streicheln und legt sich wieder auf ihre rosafarbene Decke. Auf die Frage, ob durch Mali der Unterricht anders wird, kommen nur positive Reaktionen. Bessere Konzentrationsfähigkeit, Aufmunterung, wenn man traurig ist, mehr Ordnung in der Klasse, weniger Stress und Aggressivität, mehr Rücksichtnahme aufeinander – das sind nur einige der Rückmeldungen.
Der Unterricht verläuft ruhig, auch wenn Mali durch den Raum stromert und ihre Streicheleinheiten einfordert. Damit das alles funktioniert, wurden im Vorhinein klare Regeln festgelegt. So darf die Hündin nur mit Erlaubnis ihrer „Ziehmama“ gefüttert und soll nicht ständig gerufen werden. Natürlich waschen sich die Schülerinnen und Schüler nach dem Hundekontakt die Hände. So ganz nebenbei sorgt ihre Anwesenheit auch dafür, dass kein Unrat auf dem Boden liegt, denn die Hündin ist neugierig und schnuppert an allem, was für sie zugänglich ist. Möchte Mali ihre Ruhe, darf sie nicht gestört werden. Daran halten sich auch alle, ohne dass man extra darauf hinweisen müsste.
Mali darf ihr Frauchen auch in den Unterricht für Anlagenführer begleiten. Das sind in der Regel kräftige, harte Kerle, Brechertypen. Aber die werden butterweich, wenn Mali sie ansieht und alle möchten sie streicheln.
Wie kommt man auf die Idee, seinen Hund mit zur Schule zu nehmen? Eine Fernsehreportage über Schulhunde fasziniert Sabine bereits vor Jahren. Als ihre Kinder dann alt genug sind, nimmt sie Kontakt zu einer Züchterin von Labradoodles auf. Dann geht alles sehr schnell. Bereits im Herbst 2021 erobert die Welpin Familie Hilgendorff. Um die Schulhund-Ausbildung beginnen zu können, muss die Hündin allerdings ein Jahr alt sein. Da Sabine als Pädagogin um die Notwendigkeit einer guten schulischen Vorbildung weiß, besucht sie mit Mali nacheinander eine Welpenschule zur Früherziehung, eine Junghundegruppe zur Erziehung und einen Leinenführkurs. Als die ruhige und gehorsame Hündin alt genug ist, besteht sie den Eignungstest für die Schulhundausbildung im Hundezentrum Kerpen mit Bravour. Es folgen zahlreiche Ausbildungs-Wochenenden in Kerpen, ehe beide die Abschlussprüfung absolvieren können. Sabine muss sich mit rechtlichen und hygienischen Voraussetzungen auskennen und in praktischen Übungen beweisen, dass sie und Mali ein geeignetes Schulhund-Team sind.
Nach dieser aufwändigen und nicht gerade preiswerten Odyssee stellt die Lehrerin ihrem Schulleiter noch vor den Sommerferien das Projekt vor und trifft sofort auf große Zustimmung. Die Sommerferien nutzt sie zur Erstellung eines Schulhund-Konzepts, das sie im August in der ersten Schulkonferenz präsentiert. Nebenbei muss sie sich um zusätzliche Hundeversicherung, Tierarztbesuche und Informationsschreiben für Schüler, Lehrer und Ausbildungsbetriebe kümmern. Es gibt sogar eine Handreichung vom Ministerium für Schule und Bildung des Landes Nordrhein-Westfalen zum Einsatz von Schulhunden. Trotz des ganzen Aufwands, den Außenstehende nicht vermuten, ist Sabine von ihrem Projekt überzeugt und begeistert, denn Mali hat nicht nur ihr Leben, sondern auch den Schulalltag zum Positiven verändert und bereichert.
Was bei den Auszubildenden funktioniert, wirkt auch im Kollegium. Mali ist die ungekrönte Königin des Lehrerzimmers. Jeder hat ein freundliches Wort oder ein paar Streicheleinheiten für sie übrig. Und sie tut allen gut – nach den Abstandsgeboten der Coronabeschränkungen und nach der Hochwasserkatastrophe vor zwei Jahren, bei der die unteren Etagen des Berufskollegs unter Wasser standen. Die Renovierung ist zwar schon weit fortgeschritten, aber das Unterrichten in einer Dauerbaustelle geht an die Substanz und drückt auf die Stimmung. Da hilft nur ein weiches Hundefell.
Eschweiler 11.12.2023 Evi Spennes